Genuss und Trinkgeld

Stimmt so? Geschichten und Lügen

Menschen auf dem Flohmarkt

Sonntag und es scheint tatsächlich die Sonne. Der Tag ist noch jung, doch die besten Plätze sind längst besetzt. Nur am Rand ist noch Platz für den Tapeziertisch. Drei Meter Verkaufsfläche = 20€ Gebühr. Hinter meinem Stand stehend warte ich darauf, dass mir Fremde meine Sachen abkaufen. Bücher und obsolete Ton- und Bildträger.

Der Mann vom Nebenstand verhandelt schon mit mir, während ich noch aufbaue. Er will kleine Plastikautos haben. Bücher aber will niemand hier, außer ein Mann, der mir noch ein paar Euro aus den Rippen leiert und mir mein Hassbuch #2 schließlich für 1€ abkauft. Nur fair, ich hätte ihm was geben müssen – dafür, dass er mir dieses fürchterliche Buch abnimmt, das ich im Sondermüll hätte entsorgen müssen, weil dessen Inhalt toxisch ist, weil dessen Inhalt Gedanken sterben lässt und Gehirne austrocknet und die Verblödung des Landes vorantreibt. Bis wir alle wie Zombies gar nichts mehr wollen und nur noch ins ewige Licht unserer Mobiltelefone starren und warten, dass sich was bei Facebook tut. Doch nichts, weil alle nur schauen und warten, ganz passiv und leer. Und dafür einen Euro zu bekommen, ist eigentlich gar nicht übel. Kann ich mir ein Eis von kaufen, Banane, eine Kugel bei Mövenpick. Ich aber begehe den Fehler und kaufe eine Currywurst bei einem knurrigen Mann, der gar keine Lust hat, mir diese Wurst zu geben, sie zu schneiden und so fort. Muss er aber, was soll er sonst tun? Die Wurst kostet 3€ und schmeckt wie 10 Cent. Der Hunger treibt es rein. Das Brötchen stammt aus dem Billigflieger. Kriegen die Tauben, die würgen.

Ein alter Mann steht vor meinem Stand, zögert, kramt dann in seiner Westentasche, die er wie seine Westentasche kennt. Er fördert einen Palm Pilot zutage, ein Fossil aus dem alten Jahrtausend. Grau und völlig veraltet, obsolet wie meine Ware. In seinem Gerät befindet sich eine Liste mit seinen Besitztümern. Akkurat verzeichnet, katalogisiert und immer dabei. Mit einem schwarzen Plastikstift sticht er auf die Oberfläche des Palm ein, scrollt durch scheinbar endlose Textzeilen. Deswegen will ich mein Zeug loswerden, weil es in seiner Masse erdrückt, weil weniger tatsächlich mehr ist. Im Gegensatz zu dem alten Mann, dem alten Mann und das Mehr: Er kauft mir einige Frank-Zappa-CDs ab. Die landen in seinem Regal, landen in seinem Palm. Mir bleiben die schwerelosen .mp3s. Ich bin ein Stück freier und reicher.

Was kann einem Menschen Star Wars bedeuten? Offenbar sehr viel, der junge Mann scheint dem Glück ganz nah, als er den Sternenzerstörer aus Plastik in der Hand hält. Der stammt aus New York City und hat ganz schön viel Platz im Koffer verbraucht. Sechzehn Jahre alt ist das Raumschiff. Damals kam Star Wars in der Special Edition zurück in die Kinos – und füllte die Läden mit Spielzeug. Actionfiguren und Raumschiffe, Kostüme und Laserschwerter ohne Laser. So viel Plastik für so viel Geld. Ich war zwölf und wollte all das haben. Ich bekam das Raumschiff, den Sternenzerstörer, der leuchtete und Geräusche machte. Die Batterien von früher sind noch immer im Magen des Raumschiffes, spenden noch immer Strom. Wie die Radionuklidbatterien der Voyager 1 und 2. Der junge Mann fragt nach dem Preis.

«Fünfzehn Euro», sage ich mit leichtem Fragezeichen im Abgang. Keine Ahnung, vielleicht ist das Ding tausend Euro wert, vielleicht auch nur fünf.

«Zehn», bietet der junge Mann.

«Nö», sage ich.

Er legt es wieder hin, legt den Sternenzerstörer zurück auf meine drei Meter Verkaufsfläche. Er wird wiederkommen, wie die Frau, die mir ein Nummernschild aus Florida nicht abkaufen wollte, wenige Minuten später aber aufgeregt angerannt kam und aus der Puste fragte: «Ist das Nummernschild noch da?»

Und tatsächlich, der junge Mann steht schon bald wieder vor meinem Tisch und kauft mir den Sternenzerstörer ab. Nur die DVD von Episode III, die werde ich heute nicht los. Ist auch ein Scheißfilm.

«Nein, ich finde, das ist der beste von allen», sagt einer.

«Echt?!»

«Ja. Am schlimmsten fand ich Episode V. Das Imperium schlägt zurück», sagt er.

Die anwesenden Filmfreunde lassen ihre 3€-Würste fallen, unterbrechen ihre Verhandlungen und zücken die Laserschwerter ohne Laser, entsichern ihre Kanonen. Einer im Han-Solo-Kostüm ist der erste. Auf Blasphemie steht der Tod. Han shot first.

Ich verstaue die Leiche unter meinem Tapeziertisch, bei drei Metern ist da genug Platz.