Genuss und Trinkgeld

Stimmt so? Geschichten und Lügen

Hate Thy Neighbour

Die traurige Frau, die in ihrem Fenster sitzt und ins Nichts starrt; manchmal kommt jemand vorbei und fragt, wie es ihr geht und die traurige Frau sagt: «Gut geht’s». Dann sitzt sie wieder allein in ihrem großen Fenster, raucht. Manchmal geht sie mit dem Hund raus, raucht.

Die Psychologin im Erdgeschoss hat auch einen Hund – aber keine Lust auf lange Spaziergänge. Wenn sie mit der kläffenden Töle unterwegs ist, reicht ihre Lust bis zur Bordsteinkante, wo der Hund gegen den VW Golf pinkelt. GTI. Die Pisse läuft die Straße runter. Sie gehen noch ein paar Meter, kehren aber schnell um, es ist sehr hell draußen und die Psychologin hat noch Alkohol von letzter Nacht im Blut, als sie gegen drei nach Hause kam und wankend versuchte, das Tor aufzusperren. Das klappte nicht und ihr Partyhut wehte davon, den musste sie einfangen, was schwer ist, wenn die Welt sich dreht und alles wankt und schwankt, als wäre die Straße ein Floß auf einem unruhigen Meer voller Haie.

Gegen das Chaos kämpft ein Mann mit Damenrad, mit dem er die Straße rauf und runter fährt und nach Müll Ausschau hält. Diesmal ist es ein hässlicher Bürostuhl. Kunstleder. Schwarz. Mit einem Zettel dran, man möge den Stuhl mitnehmen, ganz umsonst, bitte. An der Straße stehen oft Dinge, die ihre Besitzer nicht mehr wollen. Tüten mit Kleidern. Koffer. Tische und Sofas. Zerschnittene Menschen in Lidl-Tüten.

Am späten Abend müssen zwei Männer im Hinterhof mit tiefen Stimmen über die Welt sprechen. Lange, bis spät und sehr laut. wir alle können mithören, aber niemand ist zu sehen. Unsichtbare Stimmen, die nerven und am Schlaf hindern. Und dann ist Ruhe, es ist fast halb zwei. Schichtwechsel, jetzt hört der irre Berliner seine Musik und pöbelt in die Nacht, schimpft mit unsichtbaren Gespenstern, tobt, beleidigt und schreit. «Mohammed ist schwul», brüllt er in den Hof. Ein durchgeknallter Typ ist das, ein hageres Männchen, das als Gürtel eine Schnur benutzt. Manchmal steht er auf der Straße, manchmal im Hinterhof. Das Geschrei geht bis zum Morgengrauen, dann hat er alles gesagt und er schweigt. Schichtwechsel. Unter mir wird die Musik angemacht. Laut. Der Boden vibriert, die Musik ist fürchterlich, weil laute Musik das immer ist. Niemand mit Geschmack dreht auf, es sind immer die, die alles hören, das Banale und Seelenlose, die Popmusik ohne Aussage, aber mit viel Bass. Der haut durchs Haus und nervt. Schlechte Nacht.